Dienstag, 16. April – Der schöne Schein trügt

Hier gibt es einen netten kleinen Ort namens Agnes Water and Town of Seventeen Seventy, kurz 1770. Das heiß wirklich so. An diesem geschichtsträchtigen Ort, genau da, wo der Fluß ins Meer mündet, betrat der berühmte James Cook zum ersten Mal australischen Boden. In welchem Jahr war das wohl? Der gute alte James muß ein bemerkenswerter Mensch gewesen sein. Nicht nur, dass er ein hervorragender Seefahrer und Navigator war, auch im Umgang mit seiner Crew war er seiner Zeit voraus. Er sorgte für seine Leute mit ausgewogener Ernährung, soweit das auf See möglich war, gönnte ihnen regelmäßige Ruhepausen und sonntags den freien Tag. In seiner Mannschaft starb keiner an Skorbut und seine Leute hätten die Hand für ihn ins Feuer gelegt. Auch den eingeborenen Völkern, denen er auf seinen Reisen begegnete, brachte er Respekt und Achtung entgegen. Es ist wohl eine Kapriole des Schicksals, dass er in einem Scharmützel mit Eingeborenen auf Tahiti starb. Das alles und noch mehr erfahre ich in dem kleinen feinen Museum der Stadt.

Ja, und heute morgen um 7.15 dann die große Enttäuschung. Ich hatte eine Tour gebucht auf die Lady Musgrave Island zum Schnorcheln und bunte Fische gucken, ein wunderschönes Korallenatoll am südlichen Zipfel des Great Barrier Reef. Der Skipper muß die Überfahrt leider kurzfristig absagen, weil es draußen auf See zu stürmisch ist und bis vor kurzen sogar noch heftig geregnet hat. Hier an der Küste herrlichster Sonnenschein und blauer Himmel. Das ist jetzt schon die zweite Absage, die erste war am Sonntag.

Man versucht, uns mit Kaffee und Scones mit Marmelade und Sahne zu trösten. Hilft nicht viel gegen lange Gesichter. Ruhigeres Wetter ist nicht in Sicht, also breche ich auf Richtung Norden.

 

Donnerstag, 18. April – Heute werde ich reich!

Einer spontanen Eingebung folgend fahre ich von Rockhampton aus ins Landesinnere, so schöne Ortsnamen wie Emerald, Sapphire und Rubyvale locken mich. 300 Kilometer, nach australischen Maßstäben also gleich nebenan. Die Region hier wird Gemfields genannt, denn seit dem frühen 19. Jahrhundert werden hier Saphire gefunden, blaue, grüne und gelbe, auch Zirkon und manchmal Rubin. Die Landschaft ist weit und karg, ein wenig grün zwischendrin, der Himmel ist riesig und heftig blau, die Sonne brennt, der Wind ist staubig und die Fliegen lästig – ein Vorgeschmack auf das Outback.

Ortschaften? Nun ja, eine Ansammlung von Häusern, im Mittelpunkt ein Laden, in dem es alles gibt, was man so brauchen könnte: Konserven, Kaffee und Kekse, die lokale Zeitung, Coke, Schokolade, Henkeltassen, Plüschkoalas, Meatpies, Fish ‘n Chips, und vor dem Laden zwei Zapfsäulen.

In der endlosen Landschaft verteilen sich kuriose Behausungen, Bretterbuden, Hütten, Verschläge von Glücksjägern und Schatzsuchern, die ihren Claim umbuddeln und natürlich alle den einen großen Saphir finden und reich werden wollen.

Das versuche ich auch. Also, nicht den Claim umgraben, aber ich kaufe bei Jason einen Eimer „Wash“ aus seiner Mine, das ist ein Gemisch aus Steinen und Erde, bekomme ein Sieb und eine Wanne voll Wasser und dann heißt es, erst sieben, dann waschen, dann suchen. Immerhin habe ich in meinem Eimer 24,15 Karat Saphire gefunden, darunter sogar ein grüner und ein gelber. Jason gehört die Mine vom Old Dazzler, er führt mich und zwei Aussies unter Tage durch die Gänge. Mit sichtlichem Vergnügen erzählt er von den Anfängen der Minenarbeit, von schräg und schief gegrabenen Gängen und Einstürzen, von schwerer Arbeit bei Kerzenlicht, von den Asiaten, die als Minenarbeiter in engen Schächte schuften mußten, und so manch einer ließ damals sein Leben unter Tage. Heute muß niemand mehr sein Leben lassen, aber reich werden auch heute nur wenige.

 

Freitag, 19. April  – Eine Ode an die Fliege

Wenn ich jemandem erzählt habe, dass ich nach Australien fahre, ist stets der erste Kommentar: Oh, da gibt es so viele giftige Tiere! Stimmt. Die zehn giftigsten Tierarten der Welt sind alle in Australien beheimatet.  (Habe ich jedenfalls so in Erinnerung) Die vier giftigsten Schlangen unseres Planeten leben hier, mit den Spinnen, Quallen und Skorpionen verhält es sich ebenso. Und dann sind da noch die bösen Haie und gefräßigen Krokodile und die boxenden Roten Riesenkänguruhs.

Aber niemand spricht von der Fliege, der gewöhnlichen australischen Fliege, die hier im trockenen Hinterland zuhause ist. Deshalb will ich das jetzt tun. Sie ist klein, kleiner als unsere Stubenfliege, wahnsinnig hektisch und entsetzlich aufdringlich. Und sie liebt Löcher und Winkel. Nasenlöcher, Ohren und Augenwinkel, zum Beispiel. Und sie ist eine Meisterin darin, exakt den einen winzigen Moment abzupassen, an dem man nicht aufpaßt, und schwups, schon bosselt sie einem im Augenwinkel herum. Und wenn man die Klappe nicht hält, nun ja… Ich bin froh, dass meine Haare über die Ohren reichen. Und ich bin davon überzeugt, dass sie am liebsten Europäerinnen mag.

 

Samstag, 20. April – Darauf habe ich hingefiebert!

Endlich bin ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Ich habe Gelegenheit, das vielleicht australischste zu erleben, was ich mir vorstellen kann: ein Rodeo!

Kurz vor Sonnenuntergang geht es los, von weitem schon rieche ich Pferde und Stroh, Staub liegt in der Luft, ich sehe viele Menschen in Stiefeln und mit Cowboy-Hut, egal ob Mann oder Frau oder Kind.

Es gibt verschiedene Disziplinen, in denen Wettkämpfe stattfinden. Frauen reiten einen Parcours um drei Tonnen auf Zeit, Männer reiten auf bockenden Stieren oder ungezähmten Pferden, bis sie runterfallen. Jungs reiten auf jungen bockenden Stieren, Cowboys fangen mit dem Lasso Kälber, werfen sie auf den Boden und fesseln ihnen die Beine so schnell wie möglich. Ich bekomme einen Eindruck von der Geschicklichkeit und auch dem Pragmatismus, mit dem diese Männer mit ihren Rindern umgehen.

Australische Country-Songs dröhnen aus den Lautsprechern, der Ansager kündigt den nächsten Reiter an, kommentiert und feuert an. Es ist ein gigantisches Volksfest mit Bier und Burgern.

Drei Stunden habe ich es ausgehalten, jetzt bin ich zufrieden: ich habe ein echtes Rodeo erlebt!